Bewusst keine Karriere machen

Oh ich weiß, damit rennt man heute definitiv keine offenen Türen mehr ein. Aber ist es wirklich so schlimm, wenn man von sich selbst sagt „ich will überhaupt keine berufliche Karriere machen“?

Ich will hier keine Wertung vornehmen, aber es gibt eine Kehrseite zum „beruflichen Erfolg“. Und zwar eine gewaltige.

Einleitung

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epSos.de bei Flickr

Dieser Artikel ist ganz bewusst ein wenig überspitzt/einseitig(!) und nimmt wenig Rücksicht auf die wenigen Fälle, wo alles ganz anders gelaufen ist.

Ich glaube nicht, dass alle Menschen, die Karriere machen wollen, diese einzelnen Schritte als Problem sehen. Denn das Spiel kann auch richtig Spaß machen.

Die positiven Seiten einer Karriere seien deshalb auch kurz angesprochen:

  • Mehr Geld als der Durchschnitt.
  • Ansehen und Anerkennung.
  • Macht.
  • Dinge aktiv beeinflussen können.
  • Nette Visitenkarte und Dienstwagen 😉

Ein paar Tipps für die Karriereplanung geben beispielsweise folgende Seiten:

Karriere kostet Zeit

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alancleaver_2000 bei Flickr

Wenn Sie in Ihrem Unternehmen aufsteigen wollen, müssen Sie vor allem eines sein: Anwesend.

Kennen Sie einen Abteilungsleiter, der 7:30-Stunden-Tage macht? Kennen Sie einen Projektleiter, der völlig entspannt jeden Freitag einen halben Tag macht?

Oder sind Ihnen eher die Arbeitstiere im Kopf, die 8, 9, 10 Stunden und mehr im Büro sitzen? Sie müssen auch mittags 90 Minuten in politisch wichtige Mittagessen investieren und mit den richtigen Leuten Kaffeetrinken (so sieht es beispielsweise die Karrierebibel).

Karriere kostet Nerven

Richtig effektiv können Sie Karriere nur machen, wenn Sie sich gut vernetzen. Sie müssen mit genau den Leuten „befreundet“ sein, die Ihrer Karriere auf die Sprünge helfen können. Das sind nicht immer die, mit denen Sie Freitagabends in der Kneipe versacken würden – aber was tut „man“ nicht alles für den Erfolg.

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Leaders of Earth bei Flickr

Auch müssen Sie zu jeder Zeit aufmerksam für politische Intrigen und Machtspiele sein. Nie im falschen Moment die Wahrheit sagen, nie im falschen Moment lügen. Alles muss passen sonst sind Sie schneller Geschichte als Sie mitbekommen.

Karrieremachen heißt immer auch sich unbeliebt machen. Das läuft heute unter „stark“ sein und meint im Grunde „über Leichen gehen“ auch wenn das niemand offen ausspricht. Aber ohne Bauernopfer und „knallharte“ Entscheidungen werden Sie wohl niemals richtig weit in der Hierarchie aufsteigen.

Übrigens kostet Karriere selbst dann Nerven, wenn Sie die Karriere nur anstreben aber noch nicht erfolgreich sind. Ständig fragen Sie sich:

  • Bin ich in meiner aktuellen Stelle zu wichtig als das man mich befördern würde? Es zeigt sich immer wieder, dass der Hauptfehler vieler aufgrund ausbleibender Beförderung frustrierter Mitarbeiter ist, dass Sie sich in ihrem jetzigen Job viel zu sehr etabliert haben. Schlicht ausgedrückt: Es wird niemand befördert, der eine riesige Lücke hinterlässt, die nicht gefüllt werden kann.
  • Können die Kollegen mich gut leiden? Sie müssen beliebt sein, aber nicht der Kumpel, der mit seinen privaten Problemen hausieren geht.
  • Respektiert man meine Meinung? Werde ich immer wieder zu Telefonkonferenzen und Meetings gebeten, auch in Krisensituationen? Will man meine Einschätzung der Lage hören – oder soll ich eher die technische Lösung vortragen? Letzteres ist ein Karrierekiller.
  • Habe ich vorgestern eventuell zu viel gesagt? Manchmal hat man eine zu große Klappe und spricht dass aus, was alle denken. Das ist nicht immer die beste Idee, gerade wenn „was alle denken“ nicht das ist, was der Vorgesetzte denkt, der das irgendwann durchgesetzt hat.
  • Habe ich gerade im Meeting zu wenig gesagt? Zum falschen Zeitpunkt in Redefaulheit verfallen oder einen schlechten Tag haben kann bedeuten, dass Sie bei den weiteren „Runden“ nicht dabei sind und entsprechend Ihr Gesicht nicht bekannt wird.
  • Ist der Anzug passend? „Man zieht sich für den Job an, den man haben möchte – und nie für den, den man hat.“ Das ist eine bekannte, verbreitete und vermutlich auch wahre Redensart im Berufsleben. Anders ausgedrückt: „Kleider machen Leute“ wusste schon der alte Keller.

Karriere kostet Persönlichkeit

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Voltaire::.. bei Flickr

Die notwendigen knallharten Entscheidungen, vielen Kompromisse und politisch motivierten Meinungen werden über Kurz oder Lang auch Einfluss auf Ihre Persönlichkeit haben.

Anfangs nehmen Sie sich vor streng zwischen Job und Privatleben zu trennen. Das ist aber Wunschdenken, irgendwann werden beide Welten miteinander kommunizieren müssen, irgendwann werden Sie im Privatleben so sein wie im Beruf (wo Sie vermutlich die meisten Zeit verbringen werden).

Zwar ist heute „Alphaverhalten“ nicht mehr angesagt, zumindest offiziell nicht mehr, aber das ständige angebliche „Teamspielen“ führt dazu, dass Sie irgendwann nicht mehr wissen, ob Sie Ihr Ego jetzt wirklich im Auto gelassen haben oder ob es schon in Frührente gegangen ist. Es ist wie in der Politik: Wollen Sie erfolgreich werden, müssen Sie sich an die Mehrheit anpassen und Ihren Idealismus vergessen.

Ich sage nicht, dass das ein Automatismus ist. Aber die Gefahr besteht und ist sicher größer als viele am Beginn eines Berufslebens glauben. Andererseits kenne ich einige, die einen wirklich bedauerlichen Charakterzug haben: Sie finden es toll ein Gordon Gekko zu sein oder zu werden.

Keine Karriere machen

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River Beach bei Flickr

Auch wenn viele darüber trotzdem immer noch den Kopf schütteln, gibt es Menschen, die keine Karriere anstreben. Sie wollen in Ihrem Job sehr gute Arbeit machen, bilden sich weiter und sind auch gegenüber Verantwortung und Weiterentwicklung offen. Nicht jeder, der keine Karriere machen will, ist damit ein Beamter auf Lebenszeit – wird aber leider oft genug geglaubt.

Angeblich ist es bei Bewerbungsgesprächen sogar ein Fehler, wenn der Bewerber offen sagt, dass er keine Karriere machen möchte. Weil das angeblich nach fehlender Motivation riecht.

Ich finde es riecht eher nach Wahrheit und lässt keinen Rückschluss auf die Qualität des Mitarbeiters zu. Aber das sehen viele Entscheider eben anders.

Es ist also völlig legitim, wenn wir nicht bereit sind, für Karriere Zeit, Energie und Persönlichkeit zu opfern. Wir dürfen auch einfach „Nein“ sagen.

Und sonst?

Wie sehen Sie das? Finden Sie diesen Artikel viel zu einseitig oder können Sie den Gedanken etwas abgewinnen?

7 Kommentare

  • Ich finde den Artikel einseitig *und* kann ihm auch was abgewinnen.
    Warum?

    Du hast positive Aspekte der Karriere vergessen: das ausleben, was man am besten kann, „in seinem Element“ sein. Es gibt nämlich tatsächlich Leute, deren größtes Talent nicht fachlicher Natur ist, sondern in der Führung, der Planung, der Entwicklung von STrategien etc. liegt

    Ja, ich kenne Abteilungsleiter, die pünktlich Feierabend machen und Projektleiter, die freitag mittags nachhause gehen. Und ich glaube, dass das in Zukunft mehr werden wird.

    Ansonsten: vieles, was du als Nachteile einer Karriere beschreibst (mit Leuten Kaffeetrinken gehen, Selbstmarketing betreiben etc.), das muss man auch, wenn man fachlich anerkannt sein will und fest im Sattel sitzen möchte. Denn dass die gute Leistung im stillen Kämmerlein erbracht einem persönlich etwas nutzt, das trifft (leider?) selten zu – man muss schon auch präsentieren, was man leistet.

    Besonders wichtig ist mir dabei der Hinweis von der ebenso leidigen wie falschen Metapher des „über Leichen gehens“, das du schon siehst, wenn jemand sich unbeliebt macht. Unbeliebt machen, das muss aber wohl jeder manchmal, der sich nciht alles aufladen lassen will und auch seine persönlichen Grenzen ziehen und respektiert sehen will.

    • Hallo Martina,
      danke für deinen ausführlichen Kommentar und deine „Relativierung“! Mein Posting war absichtlich einseitig und sollte sich gegen den Trend, der kritiklos der Karriere huldigt (siehe dazu auch einschlägige Blogs), positionieren.
      Lg,
      Mirko

  • Ich finde es gut, dass es diesen Artikel gibt!
    Endlich darf man es mal sagen. Mir geht es im Leben nicht darum, dass andere mich anerkennen oder ich weiter komme im Job. Ich will möglichst ich bleiben können. Und am rechten Fleck, also im richtigen Umfeld, ist man damit wahrscheinlich auch erfolgreich ohne es Karriere zu nennen. Ich glaube daran, dass jeder etwas hat, was er einbringen kann und will. Nicht immer wird das kommerziell gewertschätzt. Es kommt auch drauf an, wie man Karriere definiert. Ich schaue nicht zu jemandem auf, der mit einer 60-Stunden Woche angibt. Habe gerade einen Job deshalb abgelehnt, weil beide Gesprächspartner im Bewerbungsgespräch sich einig waren, dass es besonders glanzvoll ist, wenn sie mit ihrer 60-Stunden Woche angeben. Für mich sind das arme Schweine!
    Vielleicht könnte ich es als Karrieredefinition akzeptieren, wenn man ein hohes Einkommen pro Stunde hat und trotzdem möglichst selbstbestimmt agieren kann. Ich sehe herab zu den vielen Karrierezombies, die fremdbestimmt durch ihr Leben „gegangen werden“.
    Aber in der hinsicht tut sich ja auch was. Ich sehe, dass gerade Frauen – Steffi Burkard, Jannike Stör – Treiberinnen dieser Bewegung des neuen Arbeitens sind. Klar, Frauen sind auch diejenigen, die keine Zeit haben um am Arbeitsplatz zu sein, einfach nur um da zu sein. Die Hauptlast der Kindererziehung und des Haushaltes liegt noch immer auf ihren Schultern, und ich glaube nicht, dass sich das ändern werden bzw. wollen. Eine kluge Frau namens Barbara Salesh (selbst kinderlos, aber erfolgreich) hat mal gesagt „Sitzfleisch allein ist keine Qualifikation“. Auch wenn es nicht oft laut ausgesprochen wird, eines der Hauptkriterien für die „klassische“ Karriere ist, dass man möglichst viel Zeit am Arbeitsplatz verbringt. Leistung ist da eher zweitrangig.
    Noch etwas zum Thema Frauen und Karriere: Männer können zumeist beides haben, bei Frauen kostet eine Karriere meist das Familienleben, also keinen Partner oder keine Kinder. So wurde es zumindest soeben wieder von Ilse Aigner (irgendeine bayrische Ministerin, CSU) im Spiegel geschrieben.
    Mit einem Artikel wie diesem hier wird ein neues Bild auf Karriere geworfen. Wir sollten dringend mehr über Lebensqualität, anstatt über Karriere sprechen!

    • Liebe Julia, ich bin für einen Artikel in einer großen, sehr seriösen Frauenzeitschrift auf der Suche nach jemandem wie Sie, der sich bewusst gegen „Karriere“ entschieden hat.. Hätten Sie Lust, diese Erfahrung zu teilen? Dann würde ich mich sehr über eine Nachricht unter sinateigelkoetter@gmx.de freuen

  • Ich habe Karriere gemacht. In 6 Jahre bin ich von ersetzbare Sachbearbeiterin bis zum mittleren Management gestiegen.
    Und ich bin gerade dabei mich woanders zu bewerben und downshiften. Ich will wieder eine Position mit weniger Verantwortung, einen 9-18 Job und pünktlich um 18:01 mein Hirn auf „privat“ umschalten.
    Ich habe mir den A. aufgerissen für diese Firma, Dank oder richtig gutes Geld kam dabei nicht raus, stattdessen stehe ich kurz vor dem Burn Out.

    Karriere würde ich nur wieder machen, wenn das Gehalt so hoch wäre, dass ich mir damit in kurzer Zeit ein Haus und ein Auto finanzieren kann. Aber ein bisschen mehr Geld und Macht allein ist Unfug.

    • Liebe Laika, ich bin für einen Artikel in einer großen, sehr seriösen Frauenzeitschrift auf der Suche nach jemandem wie Sie, der „downgeshiftet“ hat. Hätten Sie Lust, diese Erfahrung zu teilen? Dann würde ich mich sehr über eine Nachricht unter sinateigelkoetter@gmx.de freuen

  • „The Problem with the rat race is, that even if you win, you are still a rat“ 😉

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