Die Leere ohne Stress

Man hört immer wieder, dass Leute ständig Stress haben. Die Kinder verursachen Stress, die Arbeitsbelastung verursacht Stress, man findet keine 5 Minuten Ruhe, um mal was zu lesen und so weiter.

Was würde eigentlich passieren, wenn plötzlich diese Stressfaktoren wegfielen?

Ohne Stress nicht wichtig

fabya9 bei Flickr

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Diesmal soll es nicht darum gehen, dass das Stressempfinden überwiegend davon abhängt, wie wir selbst eine Situation einschätzen. Vielmehr möchte ich mal provozierend die Frage in den Raum werfen, ob wir nicht irgendwie den Stress brauchen, um uns wichtig zu fühlen.

Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich behaupte ja gar nicht, dass Sie keinen Stress haben. Aber ich habe die Theorie, dass sich einige Menschen über den Stress mehr oder weniger definieren.

Mal ehrlich. Hören Sie nicht auch ständig von allen möglichen Menschen, wie extrem stressig deren Leben sein soll – und Sie fragen sich insgeheim, wieso das denn stressig sein soll? Wieso glauben viele Menschen eine Herausforderung, ein Hindernis oder etwas, was man sich erarbeiten muss, sei automatisch Stress?

Wochenende

Man stelle sich mal folgende Situation vor: Smalltalk im Büro über das vergangene Wochenende. Auf die Frage, wie denn das Wochenende gewesen wäre, kommen doch häufig Antworten wie:

  • „Besuch der Schwiegereltern gehabt, den ganzen Tag in der Küche gestanden, völlig fertig.“
  • „Eigentlich wollte ich weiter das Buch lesen, aber man kommt ja zu nichts.“
  • „Wie das halt so ist, bleibt ja alles bis zum Wochenende liegen.“

Das klingt doch schwer nach jemandem, der unentbehrlich ist. Wir tendieren dazu Mitleid zu empfinden – aber die Botschaft lautet eigentlich „bewundere mich, ich bin der Macher“.

Wie würden wir reagieren, wenn stattdessen folgende Antworten kommen würden:

  • „War Klasse, ich habe ein spannendes Buch für mich entdeckt.“
  • „Wir haben gemeinsam einen Spieleabend genossen, das hat richtig Spaß gemacht, ich freue mich schon auf das nächste Mal.“
  • „Super! Ich hab unendlich lange geschlafen und einfach die Zeit vergehen lassen.“

Das hat schnell den Beigeschmack, dass hier jemand nicht verantwortungsbewusst ist oder seine Arbeiten liegen lässt.

…und sonst

ashleigh290 bei Flickr

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Aber auch sonst tendieren viele Menschen dazu sich ständig und dauerhaft darüber zu beschweren, dass das Leben ja nur Druck ausübt und diese Menschen überhaupt keine Zeit mehr für die Dinge haben, die eigentlich für Sie wichtig sind.

Ich glaube, dass einige dieser Menschen im Grunde genommen nur so tun, damit sie sich nicht damit beschäftigen müssen, wie leer das Leben sein würde, wenn plötzlich kein Druck mehr da ist.

Das meine ich gar nicht abwertend. Es ist doch eigentlich völlig akzeptabel, wenn wir in unserem Leben Leerräume schaffen. Leere ist nicht dasselbe wie bedeutungslos oder gelangweilt. Leere bedeutet einfach nur Zeit für die Dinge, die nicht dringend sind. Also für die wichtigen Dinge und für die Dinge, die weder wichtig noch dringend sind: Spaß und Vergnügen.

Selbstversuch

eamoncurry123 bei Flickr

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Denken Sie doch mal darüber nach: Was wäre, wenn Sie all das, was im Grunde genommen nicht so wichtig ist, weglassen würden:

  • Kein übertriebenes 5-Gänge-Menü für die Familie (sondern die Regel „jeder bringt was Essbares mit, ich stelle die Getränke“)
  • Kein Aufschieben der Hausarbeiten aufs Wochenende
  • Grundsätzlich keine Termine am Sonntag
  • Die Kinder sollen mit dem Bus zu ihren Verabredungen fahren
  • Ablehnen sich in der Schulpflegschaft zu organisieren
  • Kein Fernsehen schauen, PC abschalten

Dann haben Sie im Prinzip wieder Zeit für sich, könnten endlich das tun, was Sie angeblich so lange nicht tun konnten.

Probieren Sie das mal aus… oder überlegen Sie nur mal in der Theorie, was Sie dann tun würden. Würden Sie endlich XYZ tun? Wenn ja – wieso machen Sie nicht zuerst XYZ und schauen dann, welche zusätzlichen Dinge Sie noch in Ihren Tag hineinquetschen wollen? Wieso ziehen Sie nicht grundsätzlich das vor, an dem Ihnen angeblich so viel liegt?

Probieren Sie es doch einfach mal aus

Versuchen Sie mal Folgendes:

  1. Nehmen Sie 7 Blatt Papier und beschriften Sie diese mit den nächsten 7 Tagen.
  2. Dann notieren Sie dort als ersten Punkt jeden Tag eine Tätigkeit, die Sie angeblich schon so lange endlich mal tun wollen.
  3. Blockieren Sie dafür einen konkreten Zeitbereich (beispielsweise 19 bis 22 Uhr oder 15 bis 16 Uhr). Nehmen Sie Zeiträume, die realistisch sind, aber seien Sie ruhig ein bisschen großzügig. Es geht schließlich um die wichtigste Person überhaupt: Um Sie.
  4. Danach notieren Sie die Dinge, die notwendigerweise noch dazu kommen, aber streichen Sie radikal alles, was nicht unbedingt erforderlich. Dazu gehören auch die Dinge, bei denen Sie im Versprechen stehen. Entschuldigen Sie sich für ein paar Tage und nehmen Sie sich eine Auszeit von Ihren Pflichten – soweit das möglich ist (und das ist oft mehr als Sie im ersten Moment glauben).
  5. Halten Sie sich (nur) die nächsten 7 Tage genau an Ihren Plan, lassen Sie nicht zu, dass andere Ihren Plan überstimmen. Auch Kinder können für ein paar Tage mit einem „Nein“ leben – und Kollegen, Kunden und Partner sowieso.

Und nach diesen 7 Tagen ziehen Sie Bilanz:

  • Wie viel Chaos ist entstanden, weil Sie zuerst an sich gedacht haben?
  • Wo müssen Sie nachbessern, was war zu viel des Guten?
  • Wie hat das Umfeld reagiert?
  • Wie war das Gefühl endlich die Dinge zu tun, die Sie (angeblich?) immer tun wollten?

Es würde mich sehr interessieren, welche Erfahrungen Sie damit gemacht haben.

Ein Kommentar

  • Schöner Blog! Einen recht herzlichen Dank dafür!

    Nur der Punkt „Ablehnen sich in der Schulpflegschaft zu organisieren“ finde ich schade.
    Es gibt eh schon zu wenig Eltern, die sich (zumindest bei uns) für irgendetwas engagieren.
    Dennoch verstehe ich natürlich was gemeint ist 😉

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